Morgen steht das Jahresgespräch mit einem wichtigen Kunden an. Eigentlich brauchen Sie ja dringend eine Preiserhöhung. Aber das hat ja die letzten Jahre auch nicht geklappt. Die Zahlen, die Ihnen Ihr Chef vorgelegt hat, sind eindeutig: 5 % mehr müssen es sein. Aber wie soll das denn gehen?
Gastbeitrag von Wolfgang Bönisch
In den vergangenen Jahren mussten Sie stets Preisnachlässe einräumen oder andere, für Sie teure Zugeständnisse machen. Sie sitzen am Schreibtisch und überlegen, wie Sie Ihr Ziel für die Verhandlung definieren. Sie können nicht schon wieder nachgeben. Allerdings hat der Einkäufer im Vorfeld schon signalisiert, dass er Zugeständnisse erwartet. Ach ja, da war auch noch die Lieferunterbrechung letzten Sommer. Da müssen Sie auch noch drüber reden. Irgendwas ist ja immer und der Einkäufer legt gern seinen Finger in diese Wunde. Wie Sie da wohl wieder rauskommen?
So hat mir ein Klient seine Situation geschildert. Er definiert sich als Bittsteller. Sein Gefühl sagt: „ich bin nicht o.k. – der andere ist mir überlegen“. Und möglicherweise kennen Sie dieses Gefühl in Situationen wie oben beschrieben.
Verhandlungen mit Kunden basieren auf Erfahrung, Erwartung und Erfolg
„Wir müssen unseren Mut anstrengen, in der Bittsteller-Haltung Offenheit zu wünschen, es besteht ein Machtgefälle bei fehlender Beziehungsgrundlage.“
Ihr Puls geht hoch, wenn Sie nur an diesen Einkäufer denken und auf dem Weg zur Verhandlung, fühlt sich Ihr Körper richtig taub an. Wenn Sie „es nötig haben“, wenn Sie nicht an Ihr Produkt glauben, wenn Sie selbst der Meinung sind, Ihr Angebot sei zu teuer, wenn Sie dem Einkäufer Macht zuschreiben, wenn Sie angstvoll auf den Wettbewerb schauen, wenn Sie gramgebeugt in die Verhandlung gehen – dann nenne ich das Haltungsschaden.
Und dieser Haltungsschaden ist sichtbar, auch wenn es dem Gegenüber nicht immer bewusst sein wird. Die Körperhaltung wird passiv, der Blick unsicher, die Haut fahl und Schweißtropfen rinnen. Auch in der Stimme lassen sich negative Veränderungen hören.
Viele Verkäufer befinden sich regelmäßig in solchen Situationen. Schlechte Erfahrungen gebären schlechte Erwartungen. Schlechte Erwartungen führen zu halbgaren Zielen und einem Gefühl der Schwäche. Die schwache Innere Haltung zeigt sich in einer schwachen Äußeren Haltung. Am Ende steht wieder ein schlechtes Ergebnis. Die Erfahrung wird dadurch erneut bestätigt und verstärkt und die Negativspirale verlängert.
Kurz gesagt: der Verkäufer hat einen Haltungsschaden und geht im Bittsteller-Modus in die Verhandlung. Muss das sein? Sind Sie als Verkäufer tatsächlich so schwach? Wie kann es sein, dass gestandene Verkäufer plötzlich wie ein hilfloses Kind vor dem Einkäufer stehen und nicht weiter wissen?
Die Verhandlungstechniken des Einkäufer entsprechen oft schon einem Automatismus
Wir können unseren komplexen Alltag nur meistern, wenn wir für möglichst viele Tätigkeiten und Entscheidungen einen Automatismus zur Verfügung haben. Allerdings ist unser Wahrnehmungssystem recht großzügig, wenn es um Ähnlichkeiten geht. Deshalb führen völlig neue Erlebnisse eben oft zu automatisiertem Verhalten, das auf früheren Situationen und Erfahrungen basiert, die eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen.
In Verhandlungen führt das völlig unerwartet zu einem Haltungsschaden und der Verkäufer findet sich in der Bittsteller-Position wieder. Nicht weil der Einkäufer es bewusst provoziert hat, sondern weil er einen Auslöser gedrückt hat, der entsprechend belegt ist. O.k., manche suchen natürlich auch ganz bewusst nach solchen Auslösern.
Einkäufer sind auch gut darin, mit einfachen Verhandlungstricks den Haltungsschaden des Verkäufers zu vergrößern oder neu hervorzurufen. Da werden subtil die Regeln geändert, Termine nicht eingehalten oder am späten Nachmittag (am besten freitags) festgelegt. Da wird ein Wettbewerb inszeniert und allen Anbietern (auch dem günstigsten) gesagt, das Angebot sei zu teuer. Da wird plakativ Erstaunen inszeniert oder das Pokerface aufgesetzt. Verkäufer wiederum haben vielfältige Erfahrungen mit solchen „Spielchen“ und reagieren auf die immer gleiche Weise darauf. Da es so oft funktioniert, denkt natürlich auch der Einkäufer nicht darüber nach, sondern lebt auch nur seinen Automatismus.
Verhandlungstechniken im Vertrieb sind eine Sache der inneren Einstellung
Um etwas in solchen Situationen zum Positiven zu Verändern, benötigen Sie einige wenige Arbeitsschritte. Dazu Geduld und etwas Mut.
Als erstes überprüfen Sie, warum genau Sie sich unterlegen fühlen. Liegt es tatsächlich an Ihrem Gegenüber, an diesem Kunden, an dieser spezifischen Situation? Verändern Sie gezielt Ihre Erwartungshaltung: „es ist anders, weil…“ – „ich erwarte dieses Mal…“
Arbeiten Sie an Ihrer Standfestigkeit. Legen Sie sich ein Mantra zurecht. Zum Beispiel: „Ich bin ein guter Verhandler.“ Erweitern Sie es ruhig auf Ihren Verhandlungspartner: „Du bist ein guter Verhandler.“ Stellen Sie sich vor den Spiegel: „Ich bin ein guter Verhandler – Du bist ein guter Verhandler“. Legen Sie Nachdruck in Ihre Aussage, wiederholen Sie das täglich – Ihr Unterbewusstsein wird begeistert sein.
Finden Sie gute Gründe, warum Sie keine Preissenkung in der Tasche haben: „Wir sind nicht die verlängerte Werkbank“, „Wir müssen nicht Eure Übernahme finanzieren“, „…“
Legen Sie sich gute Argumente für die Preiserhöhung zurecht. Hier müssen Sie mit Wissen gezielt punkten.
Werten Sie Ihr Ziel auf. Verknüpfen Sie es mit einer Belohnung, die Sie sich selbst gönnen, nach dem Sie erfolgreich die Preiserhöhung durchgesetzt haben. Machen Sie sich klar, dass es keinen Automatismus gibt, der sagt, dass nach fünf Preissenkungen auch eine sechste stehen muss.
Nehmen Sie jeden Zeitdruck raus. Lieber das Rückflugticket verfallen lassen, als eine Preissenkung hinnehmen. Gehen Sie vor der Verhandlung für 2 Minuten in eine Powerpose. Zum Beispiel reißen Sie die Arme hoch, wie Usain Bolt beim Zieleinlauf. Bleiben Sie in dieser Haltung! Nach der Übung ist Ihr Testosteronspiegel erhöht und Ihr Kortisolspiegel (Stress!) gesenkt. Sie sind wacher und kampfbereiter.
Achten Sie zu Beginn und während der Verhandlung auf eine aufrechte und entspannte Körperhaltung. Schutzhaltungen haben genau den gegenläufigen körperlichen Effekt wie die Powerposen und machen Sie noch schwächer.
Falls Sie im Team verhandeln: Achten Sie gegenseitig auf Ihre Haltung. Und Bleiben Sie standhaft!
Wolfgang Bönisch ist als “Der Verhandlungsretter” bekannt und hat mit mehr als 35 Jahren Erfahrung nicht nur vertriebliche Verhandlungen gemeistert. Seit der Jahundertwende ist er als Trainer, Speaker und Coach aktiv und gibt in seinen Seminaren, Beratungen und Büchern das profunde Wissen für erfolgreichere Verhandlungsergebnisse weiter.